Osteuropa

Verfassungskrise in der Ukraine

03. November 2020

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Die Lage in der Ukraine ist mehr als alarmierend, da es mehreren korrupten Richtern gelungen ist, innerhalb weniger Tage die gesamten Strukturen zur Korruptionsbekämpfung, deren Aufbau Jahrzehnte gedauert hatte, zu zerstören. Das Fehlen solch unverzichtbarer Organe kann automatisch entsprechende Vertragsklauseln aus den Abkommen zwischen der EU und der Ukraine aktivieren und neben anderen Errungenschaften auch die Visafreiheit für das Land aufheben.

Es wird nun immer offensichtlicher, dass die Richter nicht allein gehandelt haben. Neben dem persönlichen Interesse, die gegen sie geführten Ermittlungen des NABU (Nationales Anti-Korruptionsbüro der Ukraine) zu vereiteln, unterhalten diese Richter auch enge Verbindungen zu pro-russischen Kräften in der Ukraine sowie zu einigen einflussreichen Oligarchen. Diese Richter handelten den Interessen der Ukraine zuwider und ordneten stattdessen alles den Interessen einer kleinen Gruppe unter. Sie treiben das Land dadurch faktisch in eine äußerst gefährliche Verfassungskrise. Neben den Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind auch andere entscheidende Reformen wie das Sprachengesetz und das Bankengesetz in Gefahr.

In einer solch prekären Situation sollte die Ukraine mit äußerster Wachsamkeit agieren. Progressive Kräfte, insbesondere im Parlament, sollten eine führende Rolle übernehmen. Eine übereilte und vollständige Neubesetzung des Verfassungsgerichts birgt immense Risiken und kann die Situation noch weiter verschärfen. Die Lösung für die Krise ist ein verfassungsgemäßes, unparteiisches und unabhängiges Verfassungsgericht und nicht eines, das von der Präsidialverwaltung oder einer anderen einzelnen Institution monopolisiert wird.

Die Europäische Union steht weiterhin an der Seite der ukrainischen Bevölkerung, die nicht für die Handlungen korrupter Beamter büßen sollte. Darüber hinaus sind wir gemeinsam mit internationalen Partnern bereit, die fortschrittliche Kräften in der Verkhovna Rada durch rechtliche und finanzielle Hilfe dabei zu unterstützen, eine rechtskonforme Lösung der Krise zu finden.

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Constitutional crisis in Ukraine

The situation in Ukraine is beyond alarming as several corrupted judges, in a matter of days, destroyed the entire anti-corruption structures that took decades to build. Lack of such crucial institutions can automatically trigger respective clauses from the EU-Ukraine agreements and, among other achievements, also abolish the visa-free regime for the country.

It is now increasingly obvious that the judges were not acting alone. Besides the personal interest to thwart the investigation of NABU (National Anti-Corruption Bureau of Ukraine) against them, these judges also share close ties with pro-Russian forces in Ukraine as well as with some influential oligarchs.

By disregarding the interests of Ukraine and instead putting the interests of the small group above everything else, these judges effectively drove the country into an extremely dangerous constitutional crisis. In addition to the anti-corruption institutions, other crucial reforms like the language law and the banking law are also in danger. 

In such a precarious situation, Ukraine should act with extreme vigilance and progressive forces, particularly in parliament, should take the driver’s seat. Acting hastily and entirely rebooting the constitutional court contains immense risks and can further exacerbate the situation. The solution to the crisis is a law-obedient, fair, and independent constitutional court and not the one monopolized by the President’s administration or any other single institution.

The European Union continues to stand with the people of Ukraine who should not suffer for the actions of corrupt officials. In addition, together with international partners, we are ready to provide legal and financial assistance to the progressive forces in Verkhovna Rada in order to find a lawful solution to the crisis that does not compromise the division of power among the governing branches.